Via Claudia Augusta, Tag 2: Nass nach Nassereith

Füssen - Reutte/Tirol - Fernpass - Nassereith (55 km)

Nach einer unvermutet ruhigen und erholsamen Nacht im gemischten Schlafsaal (8 Betten) werde ich um 5:30 Uhr von Vogelgezwitscher geweckt. Sonnenaufgang! Einen so frühen "Abgang" kann ich aber mit Rücksicht auf meine Zimmergenossen, die alle noch friedlich schlafen, nicht bringen. So rolle ich mich noch einmal gemütlich in meiner Koje ein und döse noch etwas vor mich hin. Gegen 6:30 Uhr steht ein ganzer Schwung junger Leute auf, und ich nutze die Gelegenheit und stimme ins allgemeine Rucksack-Geklipse und Tüten-Geraschel ein. Um 7 Uhr bin ich fertig. Zum Frühstück vorm Haus gibt es mitgebrachten Instant-Espresso (stilecht aus der Alu-Flasche) und einen "Schneeballen", eine zuckrige Kalorienbombe, die ich gestern in Füssen gekauft habe.

Dann geht es los. Die Berge grüßen mich heute wolkenverhangen. Auf dem kurzen Weg vom Hostel zum Lechfall nieselt es leicht und ich beschließe, meinen Regenjacke anzuziehen und den Regenschutz über den Rucksack zu spannen. Fast freue ich mich über die Nässe - so kann ich wenigstens gleich beides testen und habe es nicht umsonst mitgenommen. Auf dem Weg Richtung Reutte zeigt sich, dass sowohl Regenjacke als auch Regenschutz ihr Geld und den Platz im Rucksack wert waren, denn der Himmel tut sich auf und während der nächsten Stunden regnet es beständig.


Kurz nach der "Grenze" zu Österreich muss ich scharf bremsen, denn auf dem Weg vor mir sitzt ein kleines, schwarzes, drachenähnliches Tier. Ich vermute, dass es sich um eine Salamanderart handelt und schieße fasziniert ein paar Fotos. Auf den nächsten Kilometern begegnen mir dann - herausgelockt vom Regen - noch eine Menge dieser putzigen Tierchen, und ich entdecke sogar einen Dorfbrunnen, der mit einem großen geschnitzten Salamander verziert ist. Auch das Glück bleibt mir hold - auf meiner heutige Etappe "finde" ich gleich vier vier-blättrige Kleeblätter. Ich dokumentiere diese allerdings nur noch fotografisch. Lediglich Nr. 4 pflücke ich und schenke es einem Pärchen aus Berlin, das ebenfalls der Via Claudia folgt und mich ein Stück des Weges begleitet.

Fahrtechnisch ist die Strecke heute sehr viel anspruchsvoller als gestern. Es geht viel bergauf, und das meist auf (nassen) Schotterwegen. Auch die Abfahrten - ebenfalls auf nassem Schotter - haben es in sich, besonders für eine Bergab-Bremserin wie mich. Zwischen Lermoos und Bieberwiehr führt der an dieser Stelle angenehm zu befahrende Weg sanft durch den Wald hinab. Ich schmeiße alle Bedenken über Bord und lasse es "einfach mal rollen". Gerade als ich Gefallen an der Geschwindigkeit finde, bremst eine Holzbrücke meinen Spaß: Ich gehe ein bisschen zu rasant in die Kurve, und prompt zieht es mir auf dem nassen Holz mein Rad unter mir weg. Plumps. Alles, was bislang noch trocken und sauber war, ist jetzt ebenfalls dreckverschmiert und nass, aber abgesehen davon ist nichts passiert. Aufstehen - Krone richten - weiterfahren.

Der Weg führt mich durch das grandiose Ehrwalder Becken, ein Hochmoor. Dass sich die Sonne heute nicht sehen lässt, stört mich irgendwie gar nicht - die Landschaft wirkt inmitten der tiefhängenden Wolken fast mystisch, und das Grün der Landschaft wirkt im Kontrast zu den grauen Felsen, die es umgeben, frisch und lebendig. Trotz des Regens - oder auch vielleicht gerade deswegen.

Relativ zügig erreiche ich den Fernpass. Na toll - Schotter, soweit das Auge reicht. Wenigstens aber abseits der Bundesstraße, wo sich eine Blechlawine den Berg hinauf wälzt. Ich passiere den Weißensee, der so klar und einladend wirkt, dass ich ernsthaft überlege, eine Runde zu schwimmen. Da ich aber meine (relative) Oberkörper-Trockenheit nicht aufs Spiel setzen will, entscheide ich mich dafür, weiterzufahren. Ein Glück, denn nur wenige Meter weiter treffe ich auf besagtes Pärchen und wir quälen uns gemeinsam den steilen Weg nach oben. Zusammen ist das alles wenig tragisch, und wenn einer von uns mal absteigt und lieber ein paar Meter schiebt, dann ist das auch ok. Bis zum Fernsteinsee begegnen wir uns so wieder und wieder; erst danach trennen sich unsere Wege, weil die beiden noch bis nach Landeck weiterfahren wollen.


Nachdem ich den höchsten Punkt des Fernpasses passiert habe, suche ich (widerwillig) nach einer Möglichkeit, auf die Bundesstraße zu wechseln. Ich habe noch die Worte meines Vaters im Ohr, der "die Abfahrt auf dem Schotterweg kein zweites Mal machen würde." Allerdings gibt es schlicht und ergreifend keinen Anschluss an die geteerte Fahrbahn. Und so schlage ich zähneknirschend den einzigen Weg ein, der nach unten führt. Überraschung! Es ist ein nasser, sehr steiler Schotterweg! Ab und zu preschen Mountainbiker an mir vorbei - selbst schuld an diesem Wahnsinn. Mein Fahrstil bleibt gemäßigt; an den ganz steilen Stellen steige ich ab und schiebe. Ich schlage alle Warnungen väterlicherseits in den Wind und lasse mich auf den Weg ein, und er wird zu einem regelrechten Highlight der heutigen Etappe.

Unten angekommen begrüßt mich Schloss Fernstein, und jetzt ist es auch nicht mehr weit bis Nassereith, meinem heutigen Quartier. Ich bin nass, erschöpft und sattelmüde, als ich das Haus Frischhut erreiche. Die Wirtin nimmt mich liebevoll in Empfang und bietet mir gleich an, meine triefend nassen, dreckigen Sachen zu waschen, was ich natürlich nur zu gern annehme. Die Dusche ist eine einzige Wohltat, genauso wie das verdiente Nachmittagsnickerchen. Am späten Nachmittag drehe ich noch eine kleine Runde durch den Ort und fülle meine leeren Energiespeicher wieder auf.

Heute bin ich nur knapp halb so viel Kilometer gefahren wie gestern, dafür - großzügig aufgerundet und gefühlt sowieso - doppelt so viele Höhenmeter. Ich bin gespannt, was der Tag morgen bringt. Ich hätte nichts dagegen, wenn es trocken bleibt. Denn dass ich Regen "kann", habe ich ja schließlich heute bereits ausgiebig bewiesen.